"Franz von Sales oder wahre Erziehung
zur Freiheit"
Katechese des Papstes über einen Meister der Erziehung
ROM, 2. März 2011 (ZENIT.org).- Ohne ihn wäre ein Don Bosco oder der heroische ‚kleine Weg‘ einer hl. Terese von Lisieux nicht möglich geworden. Die wahre Erziehung zur Freiheit gipfelt in der radikalen und befreienden Liebe Gottes. So stellte Papst Benedikt XVI. in seiner Katechese bei der Generalaudienz heute Franz von Sales vor, den berühmten Kirchenlehrer aus der Zeit nach dem Konzil von Trient.
Wir veröffentlichen die Zusammenfassung des Heiligen Vaters auf Deutsch und die vollständige italienische Ansprache in einer eigenen deutschen Übersetzung:
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Liebe Brüder und Schwestern!
In der heutigen Katechese setze ich die Reihe der Kirchenlehrer mit der Gestalt des heiligen Franz von Sales fort. Das 16. Jahrhundert, in dem Franz von Sales lebte, war auch in seinem Heimatland Frankreich eine Zeit heftiger Glaubenskämpfe zwischen Katholiken und Calvinisten. Franz von Sales wurde 1567 in eine adlige Familie in Savoyen geboren, erhielt eine hervorragende Ausbildung und ging dann zum Studium an die Pariser Universität. Hier erlebte er im Jahr 1586 eine tiefe Glaubenskrise, die durch die theologischen Auseinandersetzungen um die Prädestinationslehre ausgelöst wurde - Prädestination, das heißt, Gott setzt im voraus fest, ob jemand in den Himmel oder in die Hölle kommt. Der junge Franz von Sales hatte die Angst, für die Hölle bestimmt zu sein, und hat darum furchtbar gelitten. Er ist dann in seinen Selbstzweifeln, seiner Unsicherheit, in der Not, sich verdammt zu sehen, in die Pariser Kirche St. Etienne des Gres gegangen. Hier hat er eine Erleuchtung empfangen: Ich frage nicht mehr, was mit mir wird, ich liebe Gott einfach. Ich lasse die Angst weg, ich will nicht wissen, was er mir dann geben oder mit mir tun wird. Ich liebe ihn und überlasse mich ihm ohne Angst und Furcht. Nur die Liebe zu ihm soll mein Leben bestimmen. Nun war er frei und hat eine Spiritualität der Freiheit und der Liebe gelehrt. Er hat sich dann zum Priestertum entschlossen und wurde 1593 zum Priester geweiht, 1602 zum Bischof von Genf, mußte aber in Annecy seinen Sitz nehmen, weil Genf nicht zugänglich war. Mitten in seinem Dienst starb er bereits 1622 mit 55 Jahren in Lyon. Franz von Sales war ein fruchtbarer geistlicher Autor und Seelenführer. Seine beiden bekanntesten Schriften sind Philothea oder Einführung in das religiöse Leben, wo er zeigt, daß man in jedem Stand, in jedem Beruf ein Leben mit Gott führen kann. Natürlich muß, so sagt er, ein Kapuziner anders leben als ein Angestellter, als ein Pilot, als jemand, der in einem Gasthaus arbeitet, aber jeder kann mit Gott leben und auf seine Weise ein Heiliger sein. Heiligkeit hat viele Formen, sagt er uns, nicht eine Einförmigkeit, sie ist in allen Ständen des Lebens möglich. Überall kann ich inwendig bei Gott sein. Die zweite Schrift geht noch tiefer: Die Abhandlung über die Gottesliebe. Im ersten Werk geht es, wie schon gesagt, darum, wie jeder Christ dort, wo er lebt und arbeitet, sein Christsein verwirklichen kann. Darauf baut die zweite Schrift auf, in der der Autor uns einlädt, der Liebe Gottes zu uns Menschen mit unserer Liebe zu antworten und Sehnsucht nach ihm zu haben, die dann in der Ewigkeit ihre Vollendung findet.
Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Gäste deutscher Sprache und heute ganz besonders natürlich an die Pilger aus Pentling. Insbesondere danke ich auch den Südtirolern für die schöne Musik. Wie der heilige Franz von Sales wollen wir uns der Hand Gottes anvertrauen und uns von seiner Liebe immer mehr prägen lassen. Der Herr segne euch alle.
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Liebe Schwestern und Brüder!
„Dieu est le Dieu du coeur humain"(Gott ist der Gott des menschlichen Herzens). Durch diese so einfach scheinenden Worten des hl. Franz von Sales bekommen wir einen Eindruck der Spiritualität dieses großen Meisters, von dem ich euch heute erzählen möchte, des Bischofs und Kirchenlehrers.
1567 in einer französischen Grenzregion geboren war er Kind des Herrn von Boisy, einer alten und vornehmen Familie der Savoyen. Im Übergang zweier Jahrhunderte, dem 15. und 16. lebend, sammelte er in sich das Beste der Lehren der kulturellen Entdeckungen des sich zu Ende neigenden Jahrhunderts und vereinigte das Erbe des Humanismus mit seinem Streben nach dem Absoluten des Mystizismus.
Er genoss eine sehr sorgfältige Ausbildung; in Paris schloss er seine höheren Studien ab, die auch der Theologie gewidmet waren und an der Universität von Padua, nach dem Wunsch des Vaters, die der Rechtswissenschaft mit einem brillianten Abschluss in utroque iure, kanonischem - und Zivilrecht.
In seiner harmonischen Jugend erlebte er bei der Reflexion der Gedanken des hl. Augustinus und des hl. Thomas von Aquin eine tiefe innere Krise, die ihn dazu führte, sich um sein eigenes ewiges Heil und über die Vorsehung Gottes für ihn selber Gedanken zu machen, indem er die wichtigsten theologischen Fragen seiner Zeit als persönliches Drama erlebte. Er betete intensiv, wurde aber so sehr vom Zweifel übermannt, dass er für einige Wochen weder essen und noch schlafen konnte. Am Höhepunkt dieser Prüfung fand er Zuflucht in der Dominikanerkirche in Paris, öffnete sein Herz und betete so: „Was auch immer geschehen möge, Herr, du hast alles in deiner Hand und deine Wege sind Gerechtigkeit und Wahrheit; was auch immer du für mich vorbereitet hast...; du bist immer der gerechte Richter und der barmherzige Vater, ich liebe dich, o Herr [...]. Ich werde dich, o mein Gott, hier lieben und immer auf deine Barmherzigkeit hoffen, ständig deinen Lobpreis singen...O Herr Jesus, du wirst immer meine Hoffnung und mein Heil in der Welt der Lebenden sein" (I Proc. Canon., Bd. I, Art. 4).
Der zwanzigjährige Franz fand Frieden in der radikalen und befreienden Liebe Gottes: Lieben, ohne etwas als Gegenleistung zu verlangen und sich der göttlichen Liebe anzuvertrauen. So fand er den Frieden. Und die Frage nach der Vorbestimmung, über die in dieser Zeit diskutiert wurde, war gelöst, denn er suchte nichts mehr als das, als was er von Gott haben konnte. Er liebte einfach und ergab sich seiner Güte. Dies wurde das Geheimnis seines Lebens, welches in allen seinen Werken zum Vorschein kommt: die Verwirklichung der Liebe Gottes.
Gegen den Widerstand des Vaters folgte der hl. Franz dem Ruf des Herrn und wurde am 18. Dezember 1593 zum Priester geweiht. 1602 wurde er Bischof von Genf in einer Zeit, in der die Stadt vom Calvinismus überrannt wurde, sodass der Bischofssitz ‚ins Exil‘ nach Annecy umziehen musste.
Als Hirte einer armen und gebeutelten Diözese in einem Bergland, das mehr für seine Kargheit als seine Schönheit bekannt war, schrieb er: „[Gott], den ich voll Wonne und Lieblichkeit zwischen diesen hohen und rauen Bergen getroffen habe, wo ihn in aller Wahrheit und Einfachheit viele einfache Seelen lieben und anbeten. Ziegenböcke und Schafe laufen von hier nach da zwischen den Gletschern, um sein Lob zu verkünden" (Brief an die Mutter von Chantal, Oktober 1606 in Oevres, Ed. Mackey, t. XIII, S. 223).
Und trotzdem war der Einfluss seines Lebens und seiner Lehre auf Europa in den darauffolgenden Jahrhunderten enorm. Er war Apostel, Prediger, Schreiber, Mann des Werkes und des Gebetes, immer damit beschäftigt, die Ideale des Konzils von Trient umzusetzen. Er war in die Kontroverse und den Dialog mit den Protestanten involviert, spürte aber immer mehr, außer der notwendigen theologischen Auseinandersetzung, die Wirkung der persönlichen Beziehung und der Nächstenliebe. Er war mit den diplomatischen Missionen auf europäischem Niveau beauftragt und mit sozialen Aufgaben der Vermittlung und der Versöhnung.
Aber vor allem war der hl. Franz von Sales ein Seelenführer: Aus einer Begegnung mit einer jungen Frau, Fräulein Charmoisy, erwuchs der Drang, eines der meistgelesenen Bücher der Moderne zu schreiben, die „Anleitung zum frommen Leben";
Aus seiner tiefen geistlichen Freundschaft mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, der Johanna Franziska Frémyot, Baronin von Chantal, erwuchs eine neue religiöse Familie, die ‚Kongregation von der Heimsuchung‘, die, wie der Heilige selber, durch eine Ganzhingabe an Gott, gelebt in Einfachheit und Demut, die einfachen Dinge außergewöhnlich gut verrichtet. „...Ich wollte, dass meine Kinder", so schrieb er, „kein anderes Ideal hätten, als das der Verherrlichung [unseres Herrn] durch unsere Demut" (Brief an Msgr. Maruemond, Juni 1615).
Er starb 1622 mit 55 Jahren nach einer Existenz, die von der Härte der Zeit und apostolischen Mühen gekennzeichnet war. Das Leben des hl. Franz von Sales war relativ kurz, aber ein Leben voll Intensität. Von der Gestalt dieses Heiligen geht ein Eindruck von seltener Vollkommenheit aus, der in der Ruhe seiner intellektuellen Forschung zum Ausdruck kommt, aber auch im Reichtum seiner Gefühle, in der „Süße" seiner Lehre, die immer einen großen Einfluss auf das christliche Gewissen hatte. Dem Wort „Menschlichkeit" verlieh er einige Akzente, die dieses Wort heute wie damals ausdrücken kann: Kultur und Höflichkeit, Freiheit und Zärtlichkeit, Adel und Solidarität. In diesen Zusammenhang hatte er auch etwas von der Majestät des Landes, in dem er lebte, bewahrte dennoch Einfachheit und Natürlichkeit. Die alten Worte und Bilder, in denen er sich ausdrückte, dringen unerwartet auch ans Ohr des Menschen von heute, wie eine vertraute Muttersprache.
In der Philothea, dem Ideal seiner ‚Anleitung zum frommen Leben‘ (1607), sprach der hl. Franz eine Einladung aus, die in seiner Zeit als revolutionär gegolten haben konnte. Es ist die Einladung, ganz in Gott zu sein und dabei in Fülle das irdische Leben und die Verpflichtungen des Standes zu leben. „Meine Intention ist es, diejenigen zu unterrichten, die in der Stadt, im Eheleben, am Hofe leben [...]" (Vorwort der „Einführung zum frommen Leben"). Das Dokument, mit dem Papst Leo XIII. mehr als zwei Jahrhunderte später diesen Heiligen zum Kirchenlehrer ernannte, beruft sich auf diesen universellen Ruf zur Heiligkeit.
Dort steht: „[Die wahre Frömmigkeit] ist zum Thron des Königs vorgedrungen, in das Zelt der Armeegeneräle, in die Richtersäle, die Büros, die Parteisitze und die Felder der Hirten [...]" (Breve Dives in misericordia, 16. November 1877). So entstand der Ruf an die Laien, um die Weihe der zeitlichen Dinge Sorge zu tragen, die täglichen Arbeiten zu heiligen und sich um sie zu kümmern, wie es auch das 2. Vatikanische Konzil und die Spiritualität unserer Zeit betont.
Hier manifestiert sich das Ideal einer versöhnten Menschheit in dem Zusammenwirken zwischen Handeln in der Welt und Gebet, zwischen säkularem Leben und der Suche nach Vervollkommnung mit der Gnade Gott, die den Menschen durchdringt und, ohne ihn zu zerstören, ihn reinigt und zur göttlichen Höhe emporzieht.
Dem Theotimus, dem erwachsenen, geistlich gereiften Christen, dem der Heilige einige Jahre später sein Traktat über die Liebe Gottes widmet (1616), bietet er eine vielschichtigere Lehre an. Zunächst hat er eine präzise Vorstellung von dem menschlichen Sein, eine Anthropologie: Die „Vernunft" des Menschen, oder besser die „vernünftige Seele", wird als harmonische Architektur angesehen, wie ein Tempel mit mehreren Bereichen um ein Zentrum herum, welches er gemeinsam mit anderen großen Mystikern „Gipfel", „Punkt" des Geistes oder „Quelle der Seele" nennt. Es ist der Punkt, an dem die Vernunft „ihre Augen schließt" und an dem das Wissen ganz eins mit der Liebe wird" (vgl. Buch I, Kap. XII).
Dass die Liebe in ihrer theologalen und göttlichen Dimension der Sinn des Seins aller Dinge ist, in einer aufsteigenden Skala, die keine Risse oder Lücken kennt, hat der hl. Franz von Sales mit einem berühmten Satz zusammenfasst: „Der Mensch ist die Perfektion des Universums, der Geist ist die Perfektion des Menschen, die Liebe ist die Perfektion des Geistes und die Nächstenliebe die Perfektion der Liebe" (ebd. Buch X, Kap. I). In einer Zeit von verbreiteter mystischer Blüte war das Werk ‚Abhandlung über die Liebe Gottes‘ eine wahre ‚Summe‘ und gleichzeitig ein faszinierendes literarisches Werk. Seine Beschreibung des Weges zu Gott beginnt mit der Anerkennung der „natürlichen Neigung" (ebd., Buch I, Kap. XVI), die in die Herzen der Menschen als Sünder eingeschrieben ist, Gott über alle Dinge zu lieben.
Nach dem Modell der Heiligen Schrift spricht der hl. Franz von Sales über die Einheit zwischen Gott und dem Menschen in einer ganzen Serie von Bildern der interpersönlichen Beziehungen. Sein Gott ist Vater und Herr, Ehegatte und Freund, hat mütterliche Charakteristiken und ist Ernährer, ist die Sonne, die die Nacht mit einer geheimnisvollen Offenbarung erhellt. Ein solcher Gott zieht den Menschen durch Werke der Liebe an sich, also in wahrer Freiheit: „Denn die Liebe kennt weder Bezwungene noch Sklaven, sondern schlägt jede Sache mit einer so sanften Macht in den Bann, dass nichts so stark ist wie die Liebe, nichts so lieblich wie ihre Macht" (ebd., Buch I, Kap. VI). Wir finden im Traktat unseres Heiligen eine tiefe Betrachtung über den menschlichen Willen und die Beschreibung seines Fließens, seines Übertretens, Sterbens, um zu leben (vgl. ebd., Buch IX, Kap. XIII), in der vollständigen Selbstaufgabe nicht nur an den göttlichen Willen, sondern an alles, was ihm gefällt, seinem „bon plaisir", seinem „Belieben" (vgl. ebd., Buch IX, Kap. 1).
Der Gipfel der Einheit mit Gott ist nicht nur die kontemplative Ekstase, sondern auch die konkrete Nächstenliebe, die sich der Nöte der anderen annimmt und dadurch in eine „Ekstase des Lebens und der Werke" genannt wird (ibid., Buch VII, Kap. VI). Man wird beim Lesen des Buches über die göttliche Liebe und noch mehr der Briefe der geistlichen Freundschaft deutlich spüren, welch ein großer Kenner des menschlichen Herzens der hl. Franz von Sales war. Der hl. Johanna von Chantal schrieb er:
„[...] Hier die Regel eures Gehorsams, die ich euch mit großen Buchstaben aufschreiben werde: Tut alles für die Liebe, nichts aus Gewalt - Liebt den Gehorsam mehr als die Angst vor Ungehorsam. Ich lasse euch den Geist der Freiheit, nicht denjenigen, der den Gehorsam ausschließt, denn dies wäre die Freiheit der Welt, sondern den, der die Gewalt ausschließt, die Angst und den Skrupel" (Brief vom 14. Oktober 1604).
Nicht umsonst steht am Anfang vieler Wege der Pädagogik und der Spiritualität unserer Zeit eine Spur dieses Meisters, ohne den es weder einen hl. Johannes Bosco noch einen heroischen ‚kleinen Weg‘ der hl. Therese von Lisieux gegeben hätte. In einer Zeit wie der unseren, die die Freiheit auch mit Gewalt und Unruhe sucht, darf man diesem großen Meister der Spiritualität und des Friedens die Aktualität nicht absprechen, der seinen Jüngern den „Geist der Freiheit" empfahl, der wahren Freiheit, die der Höhepunkt einer faszinierenden Lehre ist und sich in der Realität der Liebe erfüllt.
Der hl. Franz von Sales ist ein beispielhafter Zeuge des christlichen Humanismus; mit seinem familiären Stil, mit Parabeln, die zuweilen den Flügelschlag hoher Poesie haben, erinnert er den Menschen daran, dass er in sich die tiefe Sehnsucht nach Gott eingeschrieben trägt und nur in ihm die wahre Freude und seine vollständige Selbstverwirklichung finden kann.
[Aus dem Italienischen übertragen von ZENIT © Copyright 2011 - Libreria Editrice Vaticana]